zur Erinnerung
30 Jahre Deutsche Einheit, Zeit für eine Zwischenbilanz

Nachgefragt

So sehe ich das!

"Es war keine Wiedervereinigung, sondern der Beitritt einer Minderheit"

Heute antwortet: Christel Panzig, 72, aus Wittenberg,

Christel Panzig leitet in Lutherstadt Wittenberg das Museum "Haus der Geschichte", das eine Sammlung zur mitteldeutschen Alltags- und Sozialgeschichte zeigt

Welche Begriffe verbinden Sie mit der DDR?
Gescheiterte Utopie unter sowjetischer Hegemonie; positive Begriffe wie Antifaschismus und Aufbauwille, Bildungschancen für Arbeiterkinder, ökonomische Unabhängigkeit von Frauen, kein §218. Aber auch die Diktatur einer rechthaberischen Partei mit einem Überwachungssystem, das auch Anhänger verfolgte.

Was hat Ihr Leben bis 1989 geprägt?
Mein unangepasster, fleißiger Vater und mein Lehrer für Deutsch und Kunsterziehung; die Beziehung zu meinen Kindern und meinem Mann, Arbeitskolleginnen und -kollegen, mit denen ich bis heute befreundet bin; Auseinandersetzungen mit einem vormundschaftlichen Staat und der regierenden Partei.

Wie verbrachten Sie Ihre Freizeit?
Mit der Familie auf der Datsche und im FDGB-Urlaub; mit Lesen, Kino, Theater, Keramikzirkel, Handarbeiten. Bei Subbotnik-Einsätzen, in unsäglichen Parteiversammlungen.

Welchen Beruf haben Sie gelernt?
Diplom-Historikerin.

Wovon träumten Sie?
Von Liebe, Familie, Erfolg in der Arbeit und einer friedlichen, solidarischen Gesellschaft.

Wo waren Sie, als Sie vom Mauerfall erfuhren?
Wegen einer Beerdigung in Wittenberg, aus dem ich wegen überfüllter Züge nicht nach Hause nach Berlin konnte.

Was haben Sie von Ihrem Begrüßungsgeld gekauft?
Bestimmt keine Bananen. Wahrscheinlich irgendwelche Ersatzteile, die mein Mann brauchte.

Welche Meinung hatten Sie 1990 zur Wiedervereinigung? Und heute?
Leider war es keine Wiedervereinigung auf Augenhöhe, sondern der Beitritt einer Minderheit, die zwar erfolgreich eine Diktatur gestürzt hatte, aber über die nun bestimmt wurde. Jetzt gilt es, das Beste daraus zu machen.

Wie ging es nach 1990 beruflich für Sie weiter?
Ich hatte Glück und wurde in das Wissenschaftler-Integrationsprogramm der Bundesregierung aufgenommen, konnte weiter in meinem Beruf arbeiten und erfolgreich mit meinem Mann und anderen ein Museum zur Geschichte des Alltags in der DDR und im 20. Jahrhundert in der Lutherstadt Wittenberg aufbauen.

Wohin verreisen Sie gern?
Nach Bad Blumau in die Hundertwassertherme.

Was ist in den zurückliegenden 30 Jahren aus Ihrer Sicht gut, was schlecht gelaufen?
Presse-, Meinungs- und Reisefreiheit als grundlegende demokratische Errungenschaften bestimmen inzwischen das Leben im Osten. Dazu gehören auch restaurierte Kulturdenkmäler, schöne, sanierte Städte und gute Straßen, viele Umweltschutzmaßnahmen u.m. Leider trug die Deindustrialisierung durch die Treuhand, auch die Ignoranz gegenüber Positivem wie den Polikliniken und dem polytechnische Unterricht dazu bei, das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen zu schwächen.

Hätten Sie in Ihrem Leben gern etwas anders gemacht?
Ich wäre gern gelassener gewesen.


© infos-sachsen / letzte Änderung: - 22.01.2023 - 11:08